Peter Stamer &
Philipp Gehmacher
CoachingProject: On Time
© ©Peter Stamer & Eva Würdinger
Adv+
Coaching Project
Week 1, 16.7.–20.7.2007
13:00–19:00
VOP1
On Time
Tanz findet "in der Zeit” statt. “In der Zeit” könnte man sich so
vorstellen, dass jede Bewegung, jede Geste von einer Zeithülle umgeben ist,
welche diese unsichtbar durch den Raum trägt. Umgekehrt schaffen
Choreografie und Dramaturgie in der aufzuführenden Bewegungskomposition ein
jeweils besonderes Verhältnis von Körpern in der Zeit und im Raum. Man kann
nun Choreografie vereinfacht als eine Produktion von Raum beschreiben, der
von sich zu- und miteinander bewegenden Körpern aufgezogen wird.
Tanzdramaturgie wiederum richtet ihr Augenmerk auf die Organisation der
Zeit, in welcher Körper und Raum zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.
Die choreografische und dramaturgische Produktion von RaumZeit auf der Bühne
begegnet nun der Wahrnehmung des Zuschauers, der einerseits im Moment der
Aufführung die gleiche Lebenszeit mit den Akteuren teilt, andererseits aber
in einer je eigenen Erfahrungszeit steckt, die unteilbar ist. Entsprechend
treffen in jeder Tanzaufführung verschiedene Zeitkonzepte und –erwartungen
aufeinander, die zwischen Bühnen- und Zuschauerraum gleichwohl miteinander
kommunizieren: die ästhetische Erfahrung, damit das, was aus den auf der
Bühne vorgetragenen Körperbewegungen und –gesten durch den Blick des
Publikums als besonderer, herausgehobener Theatermoment erfahren wird,
stellt sich erst ein, wenn theatrale Herstellung und subjektive Wahrnehmung
von Zeit in eins fallen.
Dieser Zusammenhang stellt Choreografen und Tänzer vor die wichtige Aufgabe,
ihren dramaturgischen Umgang mit Zeit in ihren choreografischen Konzepten und
theatralen Umsetzungen zu berücksichtigen. Was aber sind die dramaturgischen
Überlegungen, die Choreografen und Tänzer für ihre Projekte und Aufführungen
anstellen? Wie gehen sie mit Zeit auf der zeitgenössischen Tanzbühne um? Ist
Zeit ein Vehikel, um den Körper in der Bewegung zu zeigen, oder tritt Zeit
innerhalb der Aufführung selbst hervor? Wann wird aus einer langen Weile
Langeweile, und wo greift Kurzweiligkeit zeitlich zu kurz? Gibt es eine für
das jeweilige choreografische Bewegungs- und Tanzkonzept den richtigen
Moment, einen richtigen Rhythmus, eine richtige Dauer?
Das Coaching-Projekt wird Gebrauchsweisen und Konzepte von Zeit für
Dramaturgie und Choreografie praktisch und theoretisch untersuchen. Dazu
soll jeder Teilnehmer eine Bewegungsfolge oder theatral gerahmte Sequenz von
einer Dauer zwischen 3 und 5 Minuten vorbereitet haben und während der Woche
präsentieren. Davon ausgehend wird die Gruppe die zugrundliegenden
choreografischen Fragestellungen mit ihren Wahrnehmungen abgleichen und
diese in die Diskussion einbringen. Parallel dazu werden Texte, Filme und
Tanzaufführungen des Festivals in die Auseinandersetzung miteinbezogen.
Peter Stamer
Schon während des Studiums der Theaterwissenschaft von 1993 bis 1998 war Peter Stamer als Tanzdramaturg am Nationaltheater Mannheim beschäftigt. Zwischen 1999 und 2002 war er mit einem Doktorandenstipendium Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1995 ging er als Stipendiat des Deutsch-Französischen Kulturrates nach Marseille. Daneben war er ua als Tanzkurator für die internationale Ursula-Blickle-Stiftung tätig. 2001 ging er als Kurator für Theorie an das neu gegründete Tanzquartier Wien, seit 2002 arbeitet er als freischaffender Dramaturg, Autor und Performer im Bereich zeitgenössischer Tanz und Performance.
2005 präsentierte er seine installative Videoarbeit „Lieblingsdiskurse“ in der Tanzfabrik Berlin, im Rahmen der Tagung der Gesellschaft für Tanzforschung eine Installation zu Philipp Gehmachers choreografischem Projekt „incubator“ und den Videotrailer „Chinese Whispers“ am Tanzquartier Wien, den er gemeinsam mit Daniel Aschwanden nach einem Arbeitsaufenthalt in Peking produziert hat. Bei ImPulsTanz 2005 konzipierte und realisierte er das Gesprächsformat „at home“, zu dem er Meg Stuart, Benôit Lachambre, Ismael Ivo, Jan Ritsema und Paz Rojo einlud. Zum choreografischen Projekt „incubator“, an dem er von 2004 bis 2006 als Dramaturg mitarbeitete, veröffentlichte er im Sommer 2006 im Passagen-Verlag mit Philipp Gehmacher und Angela Glechner das gleichnamige Buch.
Während des internationalen Festivals für zeitgenössische Kunst DIAF Beijing im Mai 2006 realisierte er in Peking mit Daniel Aschwanden das vierwöchige Stadt- und Diskursprojekt „Head Room“. Aus den Erfahrungen und Materialien ging im September 2006 das Instantradioplay „Chinese Whispers“ hervor, das auf der Bühne des Tanzquartier Wien gezeigt wurde. Im Juni 2006 war Stamer mit Paz Rojo und Cristian Duarte Artist in Residence im choreografischen Zentrum PACT Zollverein Essen, wo das „Trio for two voices QUINTET“ entstanden ist. Im August 2006 wirkte er bei den Aufführungen von LISA („Multifunction Structures“) und von Barbara Kraus („Fuck all that shit!“) bei ImPulsTanz als Performer mit.
Für die Dauer des Tanzkongresses Deutschland (April 2006 in Berlin) hat er das Real-Time-Research-Labor „Sans Papiers“ kuratiert, zu dem er TheoretikerInnen und PraktikerInnen zum Gespräch einlud. Im Zuge der Vorbereitung des Kongresses war er freier Berater der Kulturstiftung des Bundes (Deutschland). Im November 2006 das Researchlabor „Laboratorium is the answer. But what is the question, still?“ am Tanzquartier Wien geleitet, das sich mit Fragen der Wissensproduktion im zeitgenössischen Tanz auseinandersetzte. Im Oktober 2006 wurde er als Theoretiker zu dem Projekt „Writing Acts“ zum Steirischen Herbst eingeladen. Bis Februar 2007 lud er Wiener ChoreografInnen zur Diskursperformancereihe „Personale“ in das dietheater Wien ein. Zu jeder Begegnung verfasste Peter Stamer für das Internetmagazin „corpus“ Gesprächsportraits. Zur Zeit bereitet er auf Einladung des Goethe-Instituts einen Arbeitsaufenthalt in Peking beim Living Dance Studio vor. Im Juni 2007 zeigen Stamer, Aschwanden und Stotz das Instantradioplay „Chinese Whispers“ im großen Saal des WUK und im Anschluss daran darauf aufbauend ein Radiohörspiel für den ORF.
Daneben Vortragstätigkeit im In- und Ausland und Veröffentlichungen in Tanzmagazinen, Programmheften und Fachbüchern.
Philipp Gehmacher
Nach seinen Tanzstudien an der London Contemporary Dance School und am Laban Centre London choreografierte Philipp Gehmacher verschiedene Arbeiten, u.a. „in the absence“, „holes and bodies“ und „embroyder“. Für die Eröffnung des Tanzquartier Wien 2001 kreierte er das Duett „good enough“, das er – nach einer Phase internationalen Tourings - mit dem Choreografen Raimund Hoghe 2004 überarbeitete und zuletzt bei Österreich Tanzt 06 zeigte. Mit „mountains are mountains“ stellte er 2003 sein erstes abendfüllendes Gruppenstück vor. Im Sommer 2003 kehrte er nach zehnjährigem Londonaufenthalt nach Wien zurück. In der Saison 2004/05 verwirklichte er das Projekt „incubator“, das in vier Residenzen in Wien, Berlin, Brüssel und Lyon geschaffen wurde. Den koproduzierenden Partnern Tanzquartier Wien, Hebbel am Ufer Berlin, Kaaitheater Brüssel und Les Subsistances Lyon wurde eine je einzigartige Version des
Stücks präsentiert. Im Frühling 2006 wurde das Solo „das überkreuzen beyder hände“ mit dem Pianisten Alexander Lonquich beim Dialoge Festival des Mozarteum Salzburg premiert, das von eben diesem, von der Szene Salzburg und von ImPulsTanz Wien initiiert worden war. Auf Einladung von Montpellier Danse Festival 06 schuf Philipp Gehmacher im Rahmen von Le Vif du Sujet das Solo „between now and then“ für den französischen Tänzer Frédéric Schranckenmüller. 2007 konnte das Trio „like there’s no tomorrow“ mit der Unterstützung von Tanzquartier Wien, Pact-Zollverein Essen, Kaaitheater Brüssel, Centre National de la Danse Pantin und Montpellier Danse 07 endlich verwirklicht werden. Derzeit arbeitet er mit der amerikanischen Choreografin Meg Stuart an einem Duett, das „maybe forever“ heißt und im frühen Juni 2007 am Kaaitheater Brüssel Premiere haben wird.
Seine Arbeiten gastieren an diversen europäischen Festivals und Theatern. 1997 erhielt er den New Choreographers Award, 2000 den Bonnie Bird New Choreography Award und 2002 den renommierten Jerwood Choreography Award. 2002 war er Artist-in-Residence am dietheater Wien und während der Saisonen 2002-04 am Tanzquartier Wien. 2006 veröffentlichten Philipp Gehmacher, Angela Glechner und Peter Stamer beim Passagen Verlag Wien das Buch „incubator“.
Peter StamerPhilipp Gehmacher