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Ein performativer Raum hat grundlegende Voraussetzungen für seine Existenz, an denen wir alle teilhaben – das Publikum schaut zu, die Performer*innen performen eine vordefinierte Abfolge von Handlungen, die alle von einem*r Choreografen*in geschaffen wurden. In dieser Konstellation ähnelt das Betrachten eines Tanzstücks dem Betrachten eines Gemäldes, einer Fotografie oder eines Videos – das Kunstobjekt wurde im Voraus geschaffen, und das Publikum sieht sich das Endergebnis der Kreation an. Und doch besteht die Einzigartigkeit einer Tanzperformance darin, dass sie live, jetzt, in der Gegenwart stattfindet. Was das Publikum sieht, sind keine Pinselstriche, Standbilder oder Lichtprojektionen, sondern tatsächlich lebende menschliche Wesen, die sich in diesem Moment im selben Raum befinden.
Lilach Pnina Livnes Methode „Spirit Dance“ zielt darauf ab, den performativen Raum weiter zu vermenschlichen, indem sie die vielen Möglichkeiten erforscht, wie Tänzer*innen und Choreograf*innen ihre Rolle als Bildschöpfer*innen und Bedeutungsgeber*innen in die von aktiven Teilnehmenden an einer Versammlung verwandeln können.
Mit dieser neuen Perspektive auf das performative Set-up werden Choreograf*innen zu Organisator*innen einer Diskussion über ein Thema, das sie in der Öffentlichkeit anregen wollen. Die Tänzer*innen werden zu Leitenden, die diese Diskussion in weitere Tiefen und Schichten führen. Und das Publikum kann sich über die Rolle des passiven Zuhörens hinaus beteiligen.
Da wir im Medium des Tanzes agieren, nutzen wir alle Ausdrucksmittel, um uns an dieser Diskussion zu beteiligen – wir tanzen! Und wir reden! Wir reden! Und wir tanzen! Wir stellen uns etwas vor und dann handeln wir! Wir lassen unsere Körper das ausdrücken, was Worte nicht ausdrücken können, und wir lassen unsere Worte das erklären, was unsere Körper nicht manifestieren können. Gemeinsam oder allein, vor dem Publikum oder inmitten des Publikums, an den Händen haltend oder zu einem Ball zusammengerollt – Tänzer*innen agieren in der Gegenwart, entsprechend dem Fluss der Diskussion, der Energie im Raum und ihren eigenen persönlichen Gefühlen. Der zum Schweigen gebrachte Tanzende ist nicht mehr stumm.
Dieses Konzept einer Performance könnte den Eindruck erwecken, dass es die Rolle des*der Choreografe*in irgendwie untergräbt – wie kann ein*e Künstler*in die genauen Absichten ausdrücken, wenn sich das Kunstobjekt so leicht verändern kann? „Spirit Dance“ thematisiert genau diesen Widerspruch zwischen einem*r emanzipierten Tänzer*in und einem*r absoluten Schöpfer*in und schlägt Praktiken für eine gleichberechtigtere Beziehung vor, in der alle Beteiligten die gleichen Absichten aus vollem Herzen teilen. Der*Die Choreograf*in wählt Tänzer*innen aus, die sich für ihre Recherchen und Themen interessieren. Die Tänzer*innen bringen ihre eigenen Lebenserfahrungen und Weltanschauungen in die Entwicklung des Werks ein. Der*Die Choreograf*in schafft choreografierte Bedingungen für die Tänzer*innen, damit sie nach vorgefertigten Momenten UND Momenten der vollständigen Wahl der Tänzer*innen agieren. Die Struktur wird als ein Lager von Szenen behandelt, die die Tänzer*innen dann zeigen, wenn sie es während der Aufführung für nötig halten. Die Arbeit zielt nicht darauf ab, eine Sache auf einem linearen Weg zu sagen, sondern ist als eine Landschaft für Diskussionen und Erfahrungen angelegt.
In diesem Field Project setzen wir diese vorgeschlagenen Konzepte in die Praxis um. Während der 5 Tage üben wir die Kreation eines performativen Stücks, das Körper, Gedanken, Erinnerungen und Vorstellungen aller Beteiligten miteinander vermischt. Wir diskutieren über Selbstreflexion während einer Live-Performance, über das Tanzen unseres inneren Selbst, über die Nutzung unserer Lebenserfahrungen, um unsere Verbindung zum Stück zu verstärken, über die Wichtigkeit, Gleichaltrige als Freund*innen zu behandeln, über das künstlerische Potenzial eines*r emanzipierten Tänzers*in und darüber, warum wir uns selbst, unsere Tanzpartner*innen, unsere Choreograf*innen und unser Publikum immer als komplizierte menschliche Wesen sehen sollten, die nach einem gemeinsamen Ziel streben.
Für Research Projects ist eine Bewerbung erforderlich.
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