Research 2019

Research 2019

Jean Abreu & Guy Cools
LAMENTS

© Ambra Vernuccio
Field Project
22.7.–26.7.
10:00–16:00 / +Doz
TQW 1

LAMENTS

Eine Recherche zur Körpersprache von Wehklagen

featuring Irene Coticchio von den Cowbirds

Der brasilianisch-britische Choreograf Jean Abreu und der in Wien lebende belgische Tanzdramaturg Guy Cools möchten im Zusammenhang mit einem neuen Stück, das sie für 2020 vorbereiten, ihre gemeinsamen Recherchen auf dem Gebiet der körperlichen Sprache von Trauer in diesem Field Project vertiefen.

Wie gehen wir mit Verlusterfahrungen um? In den meisten Kulturen wurden Trauerrituale vollzogen, um Trauer und damit einhergehende Gefühle wie Schwermut, aber auch Wut auszudrücken. Wir müssen unserer Trauer Ausdruck verleihen, damit diese Gefühle sich auflösen und der Energiefluss im Körper wiederhergestellt werden kann. Eine der wirksamsten Methoden dazu sind verschiedene Arten des Wehklagens, die in den meisten Kulturen vorhanden waren, im 20. Jahrhundert allerdings in Vergessenheit zu geraten drohten. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich sowohl Wissenschaftler_innen als auch Künstler_innen mit traditionellen Formen wie der griechischen Miroloi oder dem irischen Keening beschäftigt, um sie wieder aufleben zu lassen und in zeitgenössischer Praxis auszudrücken.

Traditionelle Klagelieder treten in einen Dialog mit den Abwesenden (nicht nur durch den Tod, sondern z. B. auch, weil sie ausgewandert sind). Sie sind vom Aufbau her polyphon, wobei sich Passagen mit und ohne Sprache (stilisiertes Schreien und Schluchzen) abwechseln. Und sie wurden oft von ritualisierten Bewegungen begleitet.
Jean Abreu und Guy Cools haben einen Teil dieser Traditionen bereits bei ihrer Zusammenarbeit für Solo for Two untersucht. Nun weiten sie ihre Recherchen für die Erarbeitung eines neuen Trios aus. Sie möchten herausfinden:
• wie Polyphonie und polyphone Musik als strukturelle Elemente für ein choreografisches Experiment eingesetzt werden können. Dieser Aspekt wird auch Stimmarbeit beinhalten, möglicherweise werden einige Lieder erlernt.
• wie der repetitive und zyklische Aspekt von Klageliedern als Verkörperung von Verlust und das unerbittliche Auf und Ab an Empfindungen untersucht werden können.
• wie eine körperliche Sprache entwickelt werden kann, die diese Unerbittlichkeit der Trauer ausdrückt, um Wege des Loslassens zu finden: Es soll nicht nur das „Fallen“ erforscht werden, sondern auch das „Wiederaufstehen“.
• wie die in der Verletzlichkeit und in der körperlichen Darstellung der eigenen Gefühle steckende Kraft, meist eine weibliche Kraft, untersucht werden kann.
• Letzteres hat auch eine politische Dimension, da die traditionellen Klagelieder nicht nur eine Möglichkeit darstellten, Schmerz auszudrücken und letztendlich loszulassen, sondern oft auch zum Protest gegen das Patriarchat wurden.

Zum Field Project laden wir professionelle Tänzer_innen und Sänger_innen ein, die mit uns gemeinsam herausfinden möchten, wie die Sprache der Wehklage im heutigen Kontext stimmlich und körperlich ausgedrückt werden kann.

Irene Coticcho von den Cowbirds wird dieses Field Project täglich mit einer Einheit für polyphonen Gesang beginnen.

Irene Coticchio
Irene Coticchio (geboren in Sizilien) ist Schauspielerin, Performerin, Sängerin und Sprach- und Literaturwissenschaftlerin. Als Performerin ist sie international tätig, mit zahlreichen Projektbeteiligungen (u.a. bei Robert Wilson, Andrew De. L Harwood, Daria De Florian, Walter Manfrè) und eigenen Produktionen. Sie forscht in verschiedenen künstlerischen Bereichen, ihr Interesse gilt insbesondere grenzüberschreitenden Formaten.
Seit 1996 lebt und arbeitet sie in Wien. Von 2001-2018 war sie Ensemblemitglied der Performance-Gruppe Toxic Dreams. Seit 2006 widmet sie sich der Recherchearbeit über sizilianische und süditalienische Volksmusik. 2008 hat sie das Irene Coticchio Trio/Continente Liquido gegründet, mit dem sie regelmäßig auftritt. Außerdem ist sie Gründungsmitglied des Kollektivs cowbirds, das sich traditionellen polyphonischen Liedern aus Korsika und Sizilien widmet.
Daneben arbeitet sie mit dem Musiker Dimitris Kontouras (GR) und dem Komponist Periklis Liakakis (GR/A) zusammen, ist Stimmcoach für Sänger, Schauspieler und Tänzer, und hält Vorträge über süditalienische Volksmusik (u.a. am Institut für Romanistik der Universität Wien).

Jean AbreuGuy Cools
© Julian Cole