Schon der Titel ist ein Zitat. Mit einem ironischen „again“, noch einmal, versehen, rufen Tom Plischke, Martin Nachbar und Alice Chauchat, die sich hinter dem Kollektiv B.D.C. verbergen, noch einmal Merce Cunninghams 1976 aufgezeichnetes „Event For Television“ auf, in dem der Altmeister der Moderne neun seiner Choreographien für das Fernsehen zusammenstellte. Cunninghams Stimme ertönt immer wieder während der Aufführung, um dem Publikum seine berühmte Definition von Tanz zu geben: „Dancing is movement in time and space. Ist possibilities are only limited by our imagination and our two legs.“ Millicent Hudson, die für das Joffrey Ballet Nijinskys verlorene Choreografie zu Strawinskys „Le sacre du printemps“ rekonstruiert hat, fällt ihm ins Wort und erzählt von ihrer Arbeit, das Unentscheidbare trotzdem festzuschreiben, während Marcel Duchamp über die Autonomie der Kunst philosophiert.
Tom Plischke und B.D.C., für die „events“ verstärkt von Erna Omarsdottir, Hendrik Laevens und J.B. Bonillo, begeben sich noch einmal zurück in die Tanzmoderne, um sie in vielfältigen Verknüpfungen als Geschichte der Disziplinierung von Körpern lesbar zu machen. Eine Rekonstruktion liegt ihnen dabei ebenso fern wie Le Quatour Albrecht Knust, Mathilde Monnier oder Emmanuelle Huynh. Sie rücken vielmehr ihre Haltung zu ihrer eigenen Tradition als Tänzer und Choreografen in den Mittelpunkt de Interesses und versuchen eine Übersetzung klassisch moderner Motive wie dem des Opfers oder dem des Rituals in einen zeitgemäßen Kontext. Ikonoklastisch zertrümmern sie dabei unsere gängigen Vorstellungen von einem Theaterereignis, zerlegen die Repräsentation in kleine, aus Improvisationen rund um das Thema entstandene Szenen. Die Trennung von Bühne und Zuschauerraum wird zugunsten eines gemeinsamen Raumes aufgehoben. In einer feldartigen Versuchsanordnung können die Zuschauer als Teilnehmer selbst ihren Blickpunkt auf das Geschehen wählen, das sich in ebenso lockerer, assoziativer wie zwingender Folge entspinnt.
Tom Plischke, einer der ersten Absolventen der Schule P.A.R.T.S. von Anne Teresa De Keersmaekers in Brüssel, arbeitet seit einem Jahr in Frankfurt am Main. Seine ersten Arbeiten, mit denen er in die Öffentlichkeit trat, waren die Soli „Fleurs“, „L’Homme à sortir avec son corps“ und „Demgegenüber Borniertheit“, die, streng formal gegliedert, mit der Erinnerung spielten. Wiederholungen mit leichten Veränderungen und Unterbrechungen forderten die Zuschauer permanent auf, sich das gerade Gesehene noch einmal zu vergegenwärtigen, es zu ergänzen und zu überprüfen. Die Frage der Disziplinierung von Körpern, die sie in ihren „events“ stellen, ist im Tanz schon so alt wie das letzte Jahrhundert. Doch Plischke, Nachbar und Chauchat beantworten sie nicht wie die Tanzreformer um 1900 mit einem Gegenentwurf, der auf eine vermeintliche Natürlichkeit abzielt. Plischke behauptet keine Sphäre außerhalb der Disziplin und propagiert keine Utopie des vollkommenen Menschen im Tanz. Stattdessen führt er uns die Durchdringung von alltäglichen Ritualen, deren Disziplin sich auch die Zuschauer immer schon unterwerfen müssen, mit der spezifischeren Disziplinierung der Tanzwelt vor Augen. Eine Schlüsselszene hierbei ist die Einspielung eines Films, der die körperliche Eignungsprüfung von zukünftigen Ballettschülern zeigt, deren Körper verbogen und vermessen werden.
Auf eine späte Ausprägung eben jener Tanzreform, den Ausdruckstanz, der auf der Grundlage von energetischen Prinzipien Gefühle oder gar Archetypen darzustellen suchte, greifen B.D.C. zusammen mit dem Dramaturgen Joachim Gerstmeier in ihrem Projekt „Affects“ zurück. Angeregt durch die Affektenlehre Spinozas präsentierte Dore Hoyer 1962 ihren fünfteiligen Zyklus „Affectos Humanos“, in dem sie den letztlich unerklärbaren menschlichen Grundbefindlichkeiten Hass, Eitelkeit, Begierde, Angst und Liebe eine dramatische Form gab. Martin Nachbar hat sich der Disziplin des fremden Körpers unterworfen und mit der Hilfe von Waltraud Luley, die Hoyer noch gekannt hat, drei von Hoyers Tänzen einstudiert. „Hass“, „Begierde“ und „Angst“ bilden einen der Schwerpunkte des Projekts. Ergänzt wird die Bewegung von einem Film und einem Text – beides hat ebenso wie der Tanz extreme körperliche Erfahrungen zum Thema. Die Bewegung, die nicht die eigene des Tänzers ist, das Bild und die Sprache kreisen den Körper als zentrales Objekt und Subjekt des Tanzes permanent ein, ohne ihn als eigentlich fassen zu wollen. In dem Konzept der dreifachen Bespielung des Körpers bleibt der Körper letztlich eine Leerstelle, in der die Erinnerung des Zuschauers produktiv werden kann.
Events for Television (again)
Spielort:
Sofiensäle II
Termine:
30. Juli 2000, 21:00
01. August 2000, 21:00
Affects
Spielort:
Sofiensäle I
Termine:
31. Juli 2000, 21:00