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Fasziniert von der Energie der Überschreitung, die Vaslav Nijinsky zum Inbegriff der MOderne machte, setzen sich KV, LuxFlux und das Saira Blanche Theatre mit dem Tänzer und Choreografen an einen Tisch. Der androgyne Künstler, der im Leben zwischen Genialität und Wahnsinn ebenso changierte wie zwischen Homo- und Heterosexualität und der auf der Bühne nicht selten merkwürdige Zwitterwesen Zwischen Mensch und Tier verkörperte, wird in ihrer Performance „CAKP. Einladung an Nijinsky“ auf unterschiedliche Arten heraufbeschworen. In drei Teilen macht die Kooperative Nijinskys radikalen Geist, den die Moderne rief und den wir seither nicht mehr losgeworden sind, zur Folie für zeitgemäße Fragen an den Tanz. Die drei klar voneinander abgesetzten Akte, die trotzdem innerhalb eines einzigen performativen Kontinuums stehen, sind mit „Installation: Magie des Raumes“, „Transfer: Alchemie des Körpers“ und „Symposion: Inspiration des Gesprächs“ überschrieben. Raum, Körper, Gespräch, Bild, Bewegung und Sprache dienen der Gruppe gleichermaßen als Mittel zur Auseinandersetzung mit Nijinskys Choreografie „Le sacre du printemps“.
Speziell für die Performance hat die Formation den großen Saal der Sophiensäle in seinem Chrakater dem Saal des Théâtre des Champs-Élysées nachempfunden, in dem 1913 der Skanald um Nijinskys Uraufführung losbrach. Projektionen, Musikeinspielungen und üppige Stoffe verwandeln den Raum in eine Installation, in dem die Zuschauer lange Zeit die einzigen Akteure bleiben. Aus der suggestiven, sich selbst genügenden Atmosphäre lösen sich schließlich die Perfomer_innen heraus. Sie verwandeln die Installation in eine bewegte Dramaturgie der Körper, die sich, in viel zu enge Kostüme gezwängt, kaum bewegen können. Aus „Sacre“ wird „CAKP“, der phonetischen Rückübersetzung des russischen Wortes für „Sacre“: eine Rückführung des dramatischen Konflikts des Stücks auf seine Struktur, d.h. auf das Verhältnis zwischen dem Solotanz des Opfers und dem Tanz der Gruppe, auf die Spannung zwischen Individuum und Kollektiv, die das soziale Verhalten schlechthin bestimmt.
Oleg Soulimenko und Andrej Andrianov arbeiten seit 1989 als Saira Blanche Theatre in der Moskauer Tanz- und Performanceszene zusammen. 1999 haben sie sowohl an Meg Stuarts Improvisationsevent. „Crahs Landing@Moscow“ wie auch an ihren Vorbereitungen zum Projekt „Highway 101“ teilgenommen. Das Wiener Performance-Kollektiv LuxFlux wurde 1994 von der Tänzerin und Choreografin Inge Kaindlstorfer und dem Filmemacher, Musiker und Performer Jack Hauser gegründet, zu LuxFlux gehören außerdem ti Tanz-Performerin Annette Pfefferkorn und der Musiker, Performer und Schrifsteller David Ender. Die Formation von „CAKP“ wird ergänzt durch die Kulturtheoretikerin und Performerin Katherina Zakravsky, die unter dem Logo „KV“ sich als multiple Service-Einheit für Performance definiert. Gemeinsam schaffen sie in ihren Projekten offene Situationen, in denen sie die Techniken und Mittel der Avantgarde weiterführen. Ob in den Sophiensälen, wie bei ihrem Programm für den „Wahlverwandtschaften“-Abend der Wiener Festwochen im vergangenen Jahr, oder im Albert-Schweitzer-Haus, im Badehaus der Sargfabrik oder unter freiem Himmel – die Kooperative verzichtet überall auf den schönen Schein der Kunst zugunsten von spontanen Aktionen, die innerhalb bestimmter Vorgaben ablaufen. Ihre fortlaufenden Projekte basieren auf Improvisationen, die das für die Kunst so wichtige Momente der Nachahmung einer vorgelagerten Realität völlig außer Acht lässt. Mit kleinen modulierten Bewegungen arbeitend, erinnert die Zusammenarbeit der Künstler_innen unterschiedlicher Herkunft nicht zuletzt an „Grand Union“, Steve Paxtons Improvisationskollektiv aus dem New York der frühen siebziger Jahre. Auch bei LuxFlux und dem Saira Blanche Theatre steht die Selbstreflexion der Tanzkunst als gesellschaftliche Praxis im Vordergrund der Überlegungen.
Wie B:D:C/Tom Plischke und Christine Gaigg nähern sich KV/LuxFlux/Saira BlancheTheatre Strawinskys und Nijinskys „Le sacre du printemps“ aus der reflexiven Distanz. Doch weder das alltägliche kleine Ritual noch die grundlegende Kulturtechnik stehen bei ihnen im Vordergrund. „CAKP“ spricht eine Einladung an Nijinsky aus, um mit ihm am Anfang einer neuen Ära in einen Dialog über den Status des Künstlers im Spannungsfeld zwischen intellektuellem Anspruch und voyeuristischer Zurschaustellung zu treten. Dabei spielen fragen nach der Form und der Dramaturgie des Stücks eine weitaus größere Rolle als dass Wiederholen seiner Geschichte. Der dritte Teil des Abends besteht aus einem Symposion; die Teilnehmer_innen an diesem gastlichen Gespräch legen in Ablehnung jeglicher Form von Illusion in einem Akt der radikalen Selbstbefragung ihre Kommunikationssituation offen, indem sie über die gerade durchgeführte und gesehene Performance nachdenken. LuxFlux stammen aus Wien, das Saira Blanche Theatre aus Moskau. Nijinsky war Russe, der mit Diaghilews Ballets Russes allerdings nie in Russland aufgetreten ist. Ähnlich geht es den beiden Machern von Saira Blanche nach der Perestroika. Fragen des Kulturaustauschs sind wesentlicher Bestandteil dieser Diskussion, die in Wien, historisch wie aktuell nach wie vor eine Nahtstelle zwischen Ost und West, stattfindet. Geleitet von der Frage, wie man nach der Installation und dem Transfer auch diese vergnügliche, in der Tradition der antiken Symposien stehende Gespräch unter Freunden performativ umsetzten kann, schlägt auch diese dritte Séance mit dem Star den Bogen zurück der Frage der Darstellbarkeit, die Nijinsky einst so radikal beantwortete.
Spielort:
Sofiensäle I
Termine:
23. Juli 2000, 19:00