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Am Samstag, dem 5. August 2023 wurden im Rahmen einer Zeremonie im Volkstheater – Rote Bar die Gewinner*innen des 2018 ins Leben gerufenen ImPulsTanz – Young Choreographers’ Award gekürt:
Die Künstler*innen können sich über ein Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro und eine zweiwöchige Artistic Residency bei ImPulsTanz 2024 freuen.
Die diesjährige internationale Jury setzt sich aus der Choreografin und Tänzerin Tamara Alegre, Kuratorin, Autorin und Kulturwissenschaftlerin Anna Kozonina und Kurator und Dramaturg Mateusz Szymanówka zusammen. Sie begründen ihre Entscheidung wie folgt:
Es war uns ein großes Privileg, über viereinhalb Wochen als Jury Zeit und Raum für tiefgehende Gespräche über die Arbeit unserer Peers zu erhalten. Für dieses Geschenk und das variantenreiche, inspirierende und bisweilen polarisierende Programm der diesjährigen [8:tension] Young Choreographers’ Series möchten wir uns bei der künstlerischen Leiterin Christine Standfest und dem gesamten Festivalteam bedanken. Vor allem gilt unser Respekt allen Künstler*innen, die in der diesjährigen Serie ihre Performances präsentierten: nicht selten zu sehr später Stunde, in heißen Theaterräumen und vor einem bisweilen schon fast überstimulierten Publikum.
Wir möchten zudem den Aspekt der Arbeit, die mit dem Begriff „aufstrebend“ in der Kunst verbunden ist, würdigen und die Bedeutung von Plattformen wie [8:tension] hervorheben, die nicht nur talentierte Künstler*innen, sondern auch verschiedene Zugänge zur Tanzszene und – was am wichtigsten ist – Visionen für deren Zukunft präsentieren.
Während wir uns den einzelnen Arbeiten widmeten, diskutierten wir Begriffe und Kategorien wie Dringlichkeit, Handwerk, Repräsentation, Engagement für das Material, Großzügigkeit, Risiko und Sorgfalt. Wir untersuchten, wie Ideen in Bewegung gesetzt wurden und wie sich die Komplexität des Materials in der Aufführung verkörperte. Wir diskutierten über die Wirklichkeiten, die die Stücke wiedergeben, und über die neuen Welten und möglichen Zukünfte, die sie verkünden. Dabei ging es uns nicht nur um das, was „funktionierte“, sondern auch um jene generativen Momente, die als „Scheitern“ wahrgenommen werden können – wenn die Arbeit ihre Kohärenz verliert, uns befremdet oder irritiert, uns aber genau dadurch Fragen stellen lässt.
Wir haben kritisch über die geopolitischen Ungleichheiten zwischen den Tanzszenen und den Perspektiven, die wir vertreten, nachgedacht – in Bezug auf Klasse, Race, Gender und darüber hinaus, wir waren zum Beispiel eine rein weiße Jury – wir haben diskutiert, wie unser jeweiliger Hintergrund unsere Wahrnehmung beeinflusst, und wir haben aktiv Gespräche mit Kolleg*innen und Zuschauer*innen gesucht.
Drei Arbeiten der Auswahl stachen für uns besonders hervor, nämlich in der Art und Weise, wie sie Dringlichkeiten für den gegenwärtigen Moment vorschlugen und kohärent verkörperten, ungeachtet wesentlicher Unterschiede bezüglich ihrer geografischen Herkunft, ihrer ästhetischen Mittel und den sozialen Fragen, die sie behandelten. In unseren Gesprächen über die Stücke konnten wir uns jedoch nur auf einen Namen einigen, während unsere Meinungen zu zwei weiteren Positionen auseinandergingen. Deshalb haben wir beschlossen, dass jene Performances, die bei uns endlose Debatten ausgelöst haben, von der Jury und dem Festival besonders erwähnt werden sollen. Dies sind Batty Bwoy von Harald Beharie und To Be Possessed von Chara Kotsali. Einig waren wir uns, dass der diesjährige Preis an Marga Alfeirão mit Mariana Benenge, Myriam Lucas und Shaka Lion für die Arbeit LOUNGE geht.
Wir wollen Harald für die choreografische Vivisektion des Sozialen ehren; für die Erforschung des revoltierenden Körpers in seiner Zerbrechlichkeit und Fähigkeit zur Transformation; für die komplexe und ausgereifte Arbeit mit Unbehagen und Unwohlsein; und für ein beeindruckend gewagtes erstes Solostück, in dem Schwarze queere Körper zurückschlagen und unter anderem den problematischen und vorherrschenden weißen Blick konfrontieren.
Wir möchten Chara für ihre Virtuosität, ihre Präzision und ihren Blick fürs Detail im Umgang mit verschiedenen Medien auszeichnen; und dafür, dass sie ein System kultureller, historischer und spiritueller Referenzen rund um eine unheimliche Weiblichkeit geschaffen hat, das sich zu einer komplexen semantischen und affektiven, verkörperten Landschaft zusammenfügt.
Wir verleihen den ImPulsTanz – Young Choreographers’ Award 2023 an Marga mit Mariana, Myriam und Shaka für LOUNGE: für eine Arbeit, die entspannt, aber politisch aufgeladen ist, für Mut und Fürsorge, für die meisterhafte Choreografie lesbischer Sinnlichkeit und Intimität zwischen zwei Performerinnen, die eine starke persönliche Verbindung auf der Bühne herstellt, und dabei das Publikum so willkommen heißt; für die Einladung, langsamer zu werden und gewohnte Wahrnehmungsweisen loszulassen; für die Konsistenz des Vorschlags; dafür, dass sie den Dingen Zeit geben, sich zu entfalten; dafür, dass sie Brücken zwischen Tanzgenres und -szenen bauen; dafür, dass sie Ruhe und Vergnügen in einer Welt in den Mittelpunkt stellen, die auf Selbstausbeutung aufgebaut ist – was, wie wir glauben, eine starke Botschaft für unsere so erschöpfende Zeit ist.
Nominiert für den ImPulsTanz – Young Choreographers’ Award waren Arbeiten einer jungen Generation von Choreograf*innen, die in den letzten fünf Wochen im Rahmen der [8:tension] Young Choreographers’ Series bei ImPulsTanz präsentiert wurden. Insgesamt neun Produktionen boten dem Publikum einen facettenreichen Querschnitt gegenwärtiger Trends und neuer Entwicklungen aus dem Bereich Tanz und Performance. Das diesjährige Programm wurde kuratiert von der künstlerischen Leiterin Christine Standfest.
Die [8:tension] Young Choreographers’ Series präsentiert seit dem Jahr 2001 innerhalb des ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival Arbeiten von Newcomer*innen. Zum fünften Mal wurde dieses Jahr der ImPulsTanz – Young Choreographers’ Award unter ihnen vergeben. Als dessen Vorbild gilt der bis 2017 in Wien und als Teil des von der Europäischen Union geförderten Projekts Life Long Burning ausgelobte Prix Jardin d’Europe.