Jury-Statement: ImPulsTanz – Young Choreographers’ Award 2022

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Die [8:tension] Young Choreographers’ Series 2022 zeigte das breite Spektrum und die Vielfalt einer vitalen, jungen, internationalen Szene mit neun sehr unterschiedlichen und kaum vergleichbaren choreografischen Positionen, die von der künstlerischen Leitung der Reihe, Christine Standfest, mit großer Sorgfalt ausgewählt wurden. Als Jury war es ein Privileg und ein großes Vergnügen, all diese Arbeiten von größtenteils noch wenig bekannten Künstler*innen sehen zu können. Eine Wertung fällt dabei umso schwerer, da ausnahmslos alle gezeigten Positionen ihre eigenen und ganz besonderen Qualitäten haben. Die Entscheidung für eine Arbeit soll deshalb auch nicht als in irgendeiner Form abwertend für die nicht ausgewählten Positionen verstanden werden. Der ImPulsTanz – Young Choreographers’ Award für Repertorio N.2 soll die vielversprechende, künftige Arbeit von Davi Pontes und Wallace Ferreira weiter unterstützen. Besonderes erwähnen möchten wir auch die Arbeiten Figuring Age von Boglárka Börcsök und Andreas Bolm sowie Odd Meters von Mikko Niemistö.

Davi Pontes & Wallace Ferreira (Brasilien) – Repertório N.2

Mit nackten Körpern empfangen uns Davi Pontes und Wallace Ferreira in der großzügigen Leere eines weißen Raums, den sie rhythmisch stampfend unter Spannung setzen. Von allen vier Seiten des Raums mit Blicken konfrontiert, geben sie diese in einer präzis gesetzten Blickdramaturgie eindringlich zurück. Mit Trittbewegungen im Spannungsfeld von Selbstverteidigung und Choreografie wirbeln die beiden Tänzer*innen Energien auf, die in ein größeres, sinnlich körperliches Kraftfeld heben. Der harte Boden unter ihren Füßen wird leicht spürbar in Schwingung gebracht und spiegelt die Schatten ihrer widerständigen Körper, die immer wieder gefährlich nah an die Körper der Zuschauer*innen rücken. Eindrucksvoll verselbstständigen sich die Bewegungen der Füße, die uniform in schwarzen Turnschuhen und Sportsocken betont auf den Boden treten und manchmal wie abgelöst von den Körpern zu tanzen scheinen. Ein anderes Mal ziehen eben die individuellen, nackten Körper die Blicke auf sich – in präzis getimten Posen halten sie immer wieder inne, während sich die Bauchdecke weiter tief atmend hebt. In diesen Momenten der Ruhe und der Unterbrechung von Bewegung öffnen sie einen utopischen Raum, der ganz konkret im Hier und Jetzt spürbar wird. Davi Pontes und Wallace Ferreira stampfen mit entblößten Körpern ihre Wut in den Boden. Durch eine kluge Blickregie, ambivalente Posen und scharfe Brüche ihrer repetitiven, selbst erzeugten Rhythmen machen sie das Publikum zu Zeug*innen ihres Befreiungskampfes. 

Mikko Niemistö (Finnland) – Odd Meters

Wunderbar eigensinnig, risikofreudig und „abgefahren“ ist Mikko Niemistös Trip in die Randgebiete von Bewegung, Tanz und Sprache. Mit einem feinen Gespür für nichtlineare, zeitliche Rhythmen und einem präzisen Zugriff auf intuitive Zustände gelingt dem jungen Künstler aus Finnland ein eindrucksvoll gesteuerter Kontrollverlust.

Boglárka Börcsök & Andreas Bolm (Deutschland/Ungarn) – Figuring Age

Boglárka Börcsök und Andreas Bolm teilen in Figuring Age Gesten und Geschichte von drei über neunzigjährigen, prägenden Vertreter*innen des Modernen Tanzes im Ungarn des letzten Jahrhunderts. Eine intensiv recherchierte Arbeit, die tiefe Einblicke in ein Tänzerinnenleben gibt, ohne dass deren Verkörperung jemals in Kitsch abgleitet.

Samuel Feldhandler, Martina Gimplinger, Haiko Pfost, Wien im August 2022